Glosse

Gott 2.0: Ein Comeback

Geben wir es doch zu: Die Glaubensfestigkeit der Muslime macht uns Deutsche richtig neidisch. Was würden wir drum geben – für so ein starkes Gottvertrauen. Es ist uns verloren gegangen, Gott allein weiß, wie. Menschen mit Kopftüchern und Hauben, die ihren Mohammed haben, erinnern uns an den, der jüngst wieder auferstanden von den Toten. Da haben wir uns selbst ein Ei gelegt mit all diesen Feiertagen, dann steigt der Trostbedarf – der Schmerz sitzt tief, und Schokoladeneier kommen gerade recht. Gottlob sind sie da, die süßen Markenmacher mit Lutschersatz und leckersten Ikonen, die uns in modernem Sehnen und Begehren verbünden. „Hallo Mr. Gott“, sprach Anna zu längst vergangenen Zeiten. „Gespräche mit Gott“ führen heut doch nur esoterisch Verbrämte. Die Süddeutsche zeigt auf: „Der Prophet Moses hat nach Ansicht eines israelischen Wissenschaftlers unter Drogen gestanden, als er auf dem Berg Sinai Gott hörte und von ihm die Zehn Gebote empfing.“ – „Ist Gott demnach nichts anderes als ein magnetisch induziertes Flackern der Neuronen?“, überlegt Ulrich Schnabel in der Zeit.

Gott in der Presse: Sein Image ist meistens mies, es sei denn Johannes B. Kerner und die TV-Köche Alfons Schubeck und Horst Lichter wollen „essen wie Gott in Frankreich“ oder die Bunte zeigt „Christina Aguilera mit dem Busen, den der liebe Gott schuf“. Auch bei Kicker, Deutschlands größter Sportzeitschrift, ist Schalke beim Spiel gegen Bielefeld „Gott sei Dank in Führung gegangen“, und Motorsport hält Jorge Lorenzo für „gottbegnadet“. Dass wir zur Vielgötterei neigen, schämt sich Gala nicht zu zeigen und outet Justin Timberlake als „Pop-Gott“. Man sieht: Gott ohne Add-on geht gar nicht. „Göttlich cremig“ ist Philadelphia, Zypern, „die Insel, wo die Götter Urlaub machen“.

Gott alleine hat keinen USP, es sei denn, er kommt modern mit Markenmehrwert. „Daneben, da haben Sie völlig Recht, ist das Plagiat unter Marketingaspekten ein Gottesgeschenk“, räumt Stephan Koziol im Interview mit Gabriele Fischer immerhin noch ein; im selben Glauben ernennt sich eine Werbeagentur zum „Götterfunke“, na klar in Bayern, da wird Gott ja auch täglich gegrüßt.

Im größten Teil des ganz realen Deutschlands ist Gott ein Außenseiter, ein Obdachloser, eine Randfigur, erst recht ein Ausländer, nachdem selbst er im Zuge des allgemeinen Braindrains nach Amiland auswanderte. Kein Wunder, dass wir ihn erst recht ablehnen, seitdem er als Alter Ego des „No Brainer“ fungierte. „Gott hat mir gesagt: ‚George, geh nach Afghanistan und bekämpfe diese Terroristen.'“, so Bushs Sohn zum Spiegel. Längst hat das Folgen: Fundamentalistische Christen wollen in den USA auch Schule und Wissenschaft auf bibeltreuen Kurs bringen, und jetzt mehren sich sogar in Deutschland die Versuche, die Evolution in Frage zu stellen. „Der Mensch kann gar nicht vom Affen abstammen. Weil er nämlich von Gott geschaffen worden ist!“, zitierte jüngst der Focus und wusste: „Biologielehrer müssen sich in letzter Zeit häufiger mit solchen Argumenten auseinander setzen.“

Tatsache: Gott meldet sich aus dem Hinterhalt zurück, guerillamäßig mit Überraschungsangriffen von gleich mehreren Seiten, und Google ist Wiedergeburtshelfer: „Gott liebt Sie!“, vermitteln mir intelligente Suchanzeigen plötzlich, glaubend, ich wolle „Gott persönlich kennenlernen“. www.touch-me-gott.com offeriert mir bekennende Fanartikel und Orgelklingeltöne.

Dass wir im Cyberspace „mit Gott rechnen“ müssen, ermittelte schon zur Jahrtausendwende Gundolf Freyermut: Göttlichkeit entsteht im höchsten Ausmaß von Vernetzung, doch hier wird er auch möglich, der individualisierte, der wahrhaft allgegenwärtige Gott. Hunderttausende suchen ihn bei Godtube, seine viralen Predigten verbreiten sich auf kathtube und katholisch.de. Der persönliche Segen als immer abrufbarer Podcast kann im weltweiten Netz wie Phönix aus der Asche neu erwachsen: Gott, wiederauferstanden als Marke für Nischenmärkte.

[PromotionBusiness, 4/2008]